Tuesday, July 24, 2012

Timothy Snyder schreibt die Geschichte Europas um und überwindet nationale Historiografien

Timothy Snyder – Ein Kenner der Geschichte aus Yale


Timothy Snyder (Quelle: yale.edu) 
Allein schon wie er auf dem Bild seiner Homepage dreinschaut, muss man ihm Aufmerksamkeit entgegenbringen. Ein seriöser junger Professor, dem das Lächeln nie ganz von den Lippen verschwinden kann. Timothy Snyder hat das geschafft, was eigentlich nicht für möglich gehalten wurde und kann sich daher das unbekümmerte Lächeln ruhig leisten. Er hat in einem Feld der Geschichtsforschung, dem zweiten Weltkrieg und dem Holocaust, dem kaum jemand etwas Neues zugetraut hätte, einen bisher unbeachteten Ansatz ausformuliert und angewandt. Nach den riesigen Wälzern von Ian Kershaw, Saul Friedländer und anderen besticht Snyder durch kurze knackige Darstellungen, die auf Englisch fast besser klingen als auf Deutsch. Was ihn außerdem sympatisch erscheinen lässt, ist das Angebot von downloadbarer Lektüre auf seiner Homepage. Für mich ist Timothy Snyder bereits zum neuen Superstar unter den Historiografen geworden, der nicht nur fachlich äußerst kompetent ist, sondern schon durch sein Sprachtalent besticht. In seiner „Short Bio“ heißt es dazu ganz bescheiden: „He speaks five and reads ten European languages.“ Das ist wahrscheinlich mehr als viele andere Wissenschaftler können!

Die Geschichte Europas als transnationale Geschichte

Warum Snyder zur Zeit in aller Munde ist, offenbart ein Blick auf Sachbuch-Bestsellerlisten der letzten Monate. „Bloodlands“ ist zum Kassenschlager geworden, was eigentlich wundert, wenn man sich das Inhaltsverzeichnis ansieht, denn es scheint zunächst, als wenn er nur wieder die schon erzählten Geschichten des Holocaust und der stalinistischen Herrschaft repetiert. Aber weit gefehlt. In der Geschichte Europas, als dazu zugehörig sieht er Ostmitteleuropa definitiv an, spielt die Zeit der 1930er und 40er eine große Rolle, das ist auch bei ihm so. Was lange Zeit aber eine ebenso wichtige Rolle einnahm, waren die nationalen Perspektiven, die allzu oft und viel zu schnell zur Schwarz-Weiß-Malerei motivierten. Snyder gelingt, diese Geschichtsschreibungen mit ihren verkürzten Argumentationen und eingeengten Perspektiven zu überwinden, indem er die nationalen Stereotypen durchbricht und die Geschichte einer Region mehr als einer Nation zu beschreiben versucht. Wer einen Blick auf seine Aufsatzthemen wirft, dem wird schnell klar, dass Snyder auf diesem Gebiet zuhause ist. Er arbeitet seit Jahren zu den verschiedenen Sichtweisen der Polen, Ukrainer, Weißrussen und der baltischen Völker auf einander und hat sich mit Instrumentalisierungen nationaler Ressentiments zu den verschiedenen beschäftigt. Das ganze betreibt er auf einer Mezoebene, die versucht, Mikro- und Makroansätze zusammenzuführen und mit der Metaebene der Theorie zu verknüpfen. Die Versöhnung der verschiedenen Ebenen der Geschichtsschreibung – ein ambitionierten Vorhaben, was ihm in seiner Neuformulierung der Geschichte Europas auch gelungen ist.

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